Resümee der Fachtagung: Vom Neubaugebiet zur grünen Wohnstadt - 30 Jahre Berlin-Hellersdorf
Schnell bauen, günstig wohnen: Eignet sich der industrielle Wohnungsbau als Vorbild?
Berlin steht vor der Herausforderung, innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Wohnungen zu bauen und gleichzeitig im Bestand günstige Mieten zu erhalten. Ob bei der Bewältigung dieser Aufgaben der industrielle Wohnungsbau und die großen Wohngebiete der DDR Impulse geben können, wurde auf einer Fachtagung aus Anlass des 30. Geburtstags der Berliner Großsiedlung Hellersdorf diskutiert. „Die Aufgabe, schnell dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, stellt sich heute wieder“, betonte Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel auf einer Fachtagung, die das Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. aus Anlass des 30. Geburtstags von Berlin-Hellersdorf (1986 wurde der Stadtbezirk Hellersdorf gegründet) und seines eigenen 15. Geburtstags im Juni in Berlin gemeinsam mit dem Stadtbezirk veranstaltete. Für Senator Geisel stellt das Weiterbauen in den großen Siedlungen eine wichtige Aufgabe dar. Allein in Hellersdorf sind nach seinen Worten zwanzig Teilflächen identifiziert, auf denen rund 2.000 Wohneinheiten gebaut werden können. „Dabei“, betont Geisel, „müssen wir behutsam vorgehen und auf das Angebot an Freiraum und Grünflächen achten.“ Insgesamt stehen die großen Wohngebiete wie Marzahn oder Hohenschönhausen und insbesondere Hellersdorf heute besser da, als in der Nachwendezeit befürchtet werden musste. Monica Schümer-Strucksberg, ehemalige Regierungsdirektorin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, berichtet, dass es in den neunziger Jahren auf politischer Ebene umstritten gewesen sei, ob überhaupt Investitionen in die großen Siedlungen fließen sollten oder ob nicht Abriss die bessere Lösung sei. Und Ingo Malter, Geschäftsführer der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, machte darauf aufmerksam, dass um die Jahrtausendwende 15% der Wohnungen der (dann von der "Stadt und Land" übernommenen) Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf leer standen. Es sei, betont deshalb Dr. Bernd Hunger, Vorsitzender des Kompetenzzentrum Großsiedlung e.V., überhaupt nicht selbstverständlich, dass Hellersdorf heute eine beliebte Wohngegend ist. Vielmehr sei die positive Entwicklung der politischen Weichenstellung der neunziger Jahren zu verdanken, als erhebliche Mittel in diese Siedlungen flossen und es so gelang, das unfertige Wohngebiet Hellersdorf zu einer grünen Wohnstadt zu entwickeln. Dass Hellersdorf dabei auch von der Qualität der ursprünglichen Planung profitierte, machten auf der Berliner Fachtagung damals verantwortliche Architektinnen wie Dr. Ute Baumbach und Elfi Czaika deutlich: Das ursprüngliche Konzept legte die Basis dafür, dass es gelang, mit seriellem Wohnungsbau Quartiere mit eigener Gestaltqualität und Identität zu schaffen. Heute beträgt der Leerstand im Hellersdorfer Bestand der Stadt und Land nur noch 1,5 %. „Die Großwohnsiedlungen sind insbesondere für junge Familien mit Kindern wieder interessant geworden“, stellt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel fest. „Fakt ist, dass die meisten Vorbehalte gegenüber Großwohnsiedlungen Vorurteile sind.“ Dabei seien diese Siedlungen „unverzichtbar für die Wohnraumversorgung eines großen Teils der Bevölkerung“. Eine Gefahr jedoch sieht Bernd Hunger: Eine einseitige Belegungspolitik könnte die soziale Stabilität der großen Wohngebiete gefährden. Das Kompetenzzentrum Großsiedlungen hat eine Materialsammlung „30 Jahre Wohnstadt Hellersdorf“ mit historischen Dokumenten aus der Zeitschrift „Architektur der DDR“ herausgegeben. Die Broschüre ist kostenfrei zu beziehen auf der Homepage des Kompetenzzentrums ( www.gross-siedlungen.de). Interview Dr. Bernd Hunger (Kompetenzzentrum) und Ingo Malter (STADT UND LAND)
Ingo Malter: Das Image hat sich entscheidend verbessert. Das Problem war hausgemacht, weil man zur Wende die Wohngebiete stigmatisiert und abgewertet hat. Es brauchte dann über 20 Jahre, um Vorurteile aufzubrechen. Wir haben viel investiert, nicht nur materiell und baulich, sondern auch an Mühe und Sozialarbeit, so dass dieSiedlungen jetzt ihre Vorteile wieder ausspielen können. Welches sind diese Vorteile, Herr Dr. Hunger? Dr. Bernd Hunger: Der Typus der aufgelockerten Stadtlandschaft hat den Vorteil, dass er grüne Räume mit einer relativen Dichte verbindet. Außerdem gibt es professionelle Vermieter, die in Quartierszusammenhängen gestalten können. Der dritte Vorteil ist, dass Wohnungen und Gemeinbedarfseinrichtungen gleichzeitig und ausbalanciert geplant und gebaut wurden. Und schließlich sind die industriell errichteten Gebiete viel flexibler umbaubar, als man anfangs gedacht hat. Trotz allem gibt es in den großen Siedlungen soziale Probleme. Kann es gelingen, wieder stärker eine sozial gemischte Struktur zu schaffen? Malter: Da bin ich ausgesprochen optimistisch. Natürlich ist ein großflächiges Wohngebiet, das ein relativ niedriges Preisniveau hat, immer auch Zuzugsort für Menschen mit niedrigem Einkommen, denen man aber nicht a priori unterstellen darf, sie seien sozial prekär. Wenn ich sehe, welche Schwierigkeiten wir in manchen innerstädtischen Quartieren haben, dann sind die Herausforderungen in den Großsiedlungen überschaubar. Dr. Hunger: Die großen Siedlungen sind nie Ursache, sondern allenfalls Austragungsort von sozialen Konflikten. Sie sind für breite Schichten der Bevölkerung und nicht für die Reichen gebaut. Wichtig ist, dass die Menschen, die hier groß werden, die gleichen Chancen wie Menschen in anderen Stadtteilen haben. Der sensibelste Punkt ist dabei die Belegungspolitik: Wenn die Kommunen – gerade vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik – zu einer rigideren Belegungspolitik zurückkehren würden, dann wären die Nachbarschaften schnell überfordert und die Siedlungen wirklich gefährdet. Am 03. Juni 2016 werden die Großsiedlung Hellersdorf ihr 30 jähriges Bestehen und das Kompetenzzentrum Großsiedlungen seinen 15. Jahrestag gemeinsam mit einer Fachtagung begehen. Im Jahr 1990, zur deutschen Vereinigung, war der Wohnungsbau fast abgeschlossen, die Gestaltung des Wohnumfeldes und des öffentlichen Raumes jedoch erst in den Anfängen und auch das Zentrum des am 1. Juni 1986 neugebildeten Stadtbezirks Hellersdorf fehlte. Mit einer bedeutenden Kraftanstrengung der Stadt und der Wohnungswirtschaft gelang es, das unfertige Wohngebiet zu einer grünen Wohnstadt zu entwickeln. Hellersdorf ist in mehrerer Hinsicht einzigartig: Die Realisierung durch Baubetriebe aus allen Teilen der DDR ermöglichte eine differenzierte Gestaltung der einzelnen Baufelder. So sind hier nahezu alle Bautypen des DDR-Wohnungsbaus der späten 1980er Jahre vertreten. Und: Man kann einen in kürzester Zeit abgelaufenen Transformationsprozess nachvollziehen, in dem der Stadtteil an veränderte Wohnbedürfnisse angepasst wurde. Das Beispielhafte dieses Prozesses führte im Jahre 2001 zur Gründung des Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. Die Fachtagung will anlässlich des Jubiläums auf die Entwicklung der Wohnstadt zurückblicken, aber nicht in der Vergangenheit verharren. - Was sind übertragbare Erkenntnisse eines tiefgreifenden Wandlungsprozesses, von denen andere lernen können? - Wie ist die Zukunft der Wohnstadt Hellersdorf angesichts eines angespannten Wohnungsmarktes, der Notwendigkeit des Weiterbauens innerhalb des Siedlungsgefüges und der großen Integrationsaufgaben? Eingeladen sind die Hellersdorfer Bewohnerinnen und Bewohner, Akteure und Experten aus der Zivilgesellschaft, aus Politik und Verwaltung, Planung und Wohnungswirtschaft, um die Vergangenheit zu reflektieren und über die Zukunft zu diskutieren und natürlich alle Mitglieder und Unterstützer des Kompetenzzentrum Großsiedlungen! Hier finden Sie wichtige Unterlagen zur Fachtagung:
Die Einladung, das Programm sowie die Anmeldung steht Ihnen hier zum Herunterladen zur Verfügung.
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