Fachkonferenz
10 Jahre Kompetenzzentrum
 

Große Wohnsiedlungen – früher Sorgenkinder. Heute Vorreiter klimagerechter Stadtentwicklung.

Mehr als 120 Teilnehmer trafen sich am 17. Juni in der Berliner Wohnstadt Hellersdorf, um anlässlich des 10 jährigen Bestehens des Vereins "Kompetenzzentrum Großsiedlungen" über die Zukunft der seit den 1920er Jahren errichteten Siedlungen des mehrgeschossigen Mietwohnungsbaus zu diskutieren. Dabei zeigte sich: das Zukunftspotential der Siedlungen ist vor dem Hintergrund des Klimaschutzes und der Energiewende größer als noch vor einigen Jahren angenommen.
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge – Reyher schilderte eingangs, wie der Berliner Senat die Erneuerung der großen Plattenbaugebiete im Osten der Stadt bereits unmittelbar nach dem Mauerfall als wichtige politische Aufgabe erkannt und in Angriff genommen wurde. Mittlerweile sei ein Stand bei der energetischen Sanierung, aber auch hinsichtlich der Gestal-tung des Wohnumfeldes erreicht, der nun bei der Erneuerung in der Gropiusstadt, im Märki-schen Viertel und in anderen Gebieten im Westteil der Stadt zur Anwendung komme.

Dagmar Pohle, Bezirksbürgermeisterin von Marzahn – Hellersdorf, zeigte sich erfreut über die internationale Aufmerksamkeit, die das Erneuerungsgeschehen in den beiden mit mehr als 200.000 Einwohnern größten Wohnstädten Deutschlands erfährt. Für Partner aus Ost- wie Westeuropa ist nicht nur die gelungene technische Sanierung von Interesse, sondern der sozialverträgliche Umgang mit den Mietern, das wohnungswirtschaftliche Vorgehen und die Einbindung vieler Akteure in städtebauliche Gesamtkonzepte.

Siedlungen des Mietwohnungsbaus – ein Teil der Europäischen Stadt
In seinem programmatischen Vortrag "Große Wohnsiedlungen als Bestandteil der Europäischen Stadt" machte Prof. Werner Durth, Technische Universität Darmstadt deutlich, dass der Wohnungsbau für breite Schichten der Bevölkerung kein Betriebsunfall des Städtebaus war, sondern ein wesentlicher Abschnitt der europäischen Stadtgeschichte, durch den die Wohnungsnot überwunden und der soziale Zusammenhalt gestärkt wurde. Nicht zu unterschätzen allerdings sei das Imageproblem des Wohnungsbaus der Moderne. Die Bedeutung des Mietwohnungsbaus der 1920er bis 1980er Jahre für das qualitativ hohe Niveau des deutschen Wohnungsmarktes würde im öffentlichen Bewusstsein zu wenig reflektiert.
Dank des enormen Wohnungsbaugeschehens in diesen Jahrzehnten konnte "gut und sicher wohnen" zu einem Markenzeichen des GdW werden, so Präsident Axel Gedaschko. Neun von zehn GdW - Wohnungen, das sind mehr als 5 Mio. Wohnungen für fast 10 Mio. Menschen, befinden sich in den zwischen 1920 und 1990 errichteten Wohnsiedlungen. Mit Blick auf die Zukunft wies der GdW – Chef auf die besondere Eignung der Wohnsiedlungen für Klimaschutz und Energieeinsparung hin. Die kompakte Bebauung, die Möglichkeit rationeller Modernisierungs-verfahren und das abgestimmte Handeln professioneller Vermieter in ganzen Wohnquartieren führen bereits heute dazu, dass die Wohnsiedlungen zu Vorreitern bei der klimagerechten Stadtentwicklung werden.

Keine Verengung auf "Platte" und "Hochhaus"
Die neue Sichtweise "vom Sorgenkind zum Zukunftsquartier" bestätigte der Vereinsvorsitzende Dr. Bernd Hunger in seiner Bilanz der zehnjährigen Arbeit des Kompetenzzentrums. Der Verein sei von einer "Berliner Pflanze" zu einer bundesweit und international bekannten Plattform geworden. Er wirkt an europäischen Projekten wie "Urb.Energy“ oder "Longlife" mit, die Zukunftspotentiale betonen: Klimaschutz, Energiewen-de, sozialer Zusammenhalt.
Einen Zulauf neuer Mitglieder vor allem aus den alten Bundesländern bewirkte das Konzept, die Debatte über die Zukunft der großen Wohnsiedlungen nicht auf "Platte", "Hochhaus" oder den "Osten" zu beschränken, sondern den seit den 1920er Jahren in Deutschland errichteten, sozialen Zielen verpflichteten Mietwohnungsbau in seiner ganzen Vielfalt zu diskutieren.
In der abschließenden Podiumsdiskussion verwiesen Herr Marx, Geschäftsführer der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land ebenso wie Herr Kuklinski, Geschäftsführer der Volkswohnung Karlsruhe darauf, dass die Erneuerung der Siedlungen wirtschaftlich tragbar sein muss und Herr Dr. Gaudig, Geschäftsführer der BBP Bauconsulting ergänzt, dass sich das in Deutschland erworbene Know how zu einem Markenzeichen entwickelt hat und nun für die Erneuerung der Siedlungen in Ost- wie Westeuropa genutzt werden kann.
Die Diskussion über problemadäquate Förderinstrumente sei, so Prof. Brenner vom Bundesbauministerium, im Zuge der von der Bundesregierung beschlossenen Energiewende in vollem Gange. Auch die Forschung entdeckt das Thema wieder.
Frau Professor Kabisch vom Umweltforschungszentrum Leipzig stellte das "White Paper über Zukunftschancen ostdeutscher Großsiedlungen" vor, das für eine praxisorientierte Neuauflage der Forschung wirbt.

Mehr öffentliche Aufmerksamkeit für Wohnsiedlungen
Die Konferenzteilnehmer waren sich einig: Die Erneuerung der großen Wohnsiedlungen muss weitergehen, zumal die soziale Wohnraumversorgung vor dem Hintergrund fortschreitender sozialer Polarisierungsprozesse für immer mehr Bevölkerungsgruppen wieder an Bedeutung gewinnen wird. Längst sind nicht alle Bestände saniert, der Nachholbedarf ist immens. Es ist deshalb Zeit, dass sich die politische Aufmerksamkeit wieder stärker auf die großen Bestände des Mietwohnungsbaus richtet.
Das ist auch das Anliegen der auf der Konferenz vorgestellten Publikation "Große Wohnsiedlungen – Wohnen mit Zukunft", die beispielhafte Projekte der Siedlungserneuerung von den Siedlungen der 1920er Jahre bis zu den Siedlungen der 1980er Jahre erstmals in ihrem Zusammenhang darstellt.

Die Publikation "Große Wohnsiedlungen – Wohnen mit Zukunft" kann beim Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. unter info@gross-siedlungen.de bestellt werden.

Der Forschungsaufruf "White Paper - Zukunftschancen ostdeutscher Großsiedlungen" steht hier zum runterladen zur Verfügung.
  • White paper - Großsiedlungen
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